WGD macht auf negative Folgen des Herrenberg-Urteils für Kulturschaffende und kulturelle Bildung in Dresden aufmerksam
- WIR GESTALTEN DRESDEN kritisiert die unzureichende flächendeckende Stellenschaffung zur Ermöglichung der sozialen Absicherung von Künstler:innen als Folge des Herrenberg-Urteils des Bundessozialgerichts
- Neue Anstellungsmodelle in der kulturellen Bildungsarbeit sind nur bedingt mit den Bedingungen der Künstlersozialkasse kompatibel
- WIR GESTALTEN DRESDEN plädiert für Auffächerung der Absicherungsstruktur in direkter Bezugnahme auf das tatsächliche Einkommen aus der kulturellen Bildungsarbeit der lehrenden Künstler:innen
Dresden, den 2. Oktober 2024: Seit dem Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2022 dürfen Bildungseinrichtungen Künstler:innen nicht mehr als freischaffende Honorarkräfte in der kulturellen Bildungsarbeit einsetzen. Kulturinstitutionen sind nun verpflichtet für Anstellungsverhältnisse zu sorgen, um die soziale Absicherung der Beschäftigten zu gewährleisten. Der Branchenverband der Dresdner Kultur- und Kreativwirtschaft, WIR GESTALTEN DRESDEN, begrüßt die Bestrebungen die oftmals ohnehin prekären Lebensverhältnisse der Kulturakteur:innen sozial abzusichern, grundsätzlich sehr. Die Interessensvertretung plädiert jedoch dafür, genauer hinzusehen, denn es besteht die Gefahr, dass Künstler:innen wieder durch das Raster fallen, das sie eigentlich auffangen sollte.
Bildungsangebote schrumpfen erheblich
WIR GESTALTEN DRESDEN begrüßt die Bestrebungen zur sozialen Absicherung, weist jedoch auf die fehlende flächendeckende Stellenschaffung hin: „An der JugendKunstschule Dresden fallen wegen der nun fehlenden Honorarkräfte 58 Prozent des Angebots weg. Das sind einerseits 38 Kulturschaffende, denen eine Einkommensquelle wegbricht und andererseits jährlich 7500 Kinder und Jugendliche, deren kulturelle Bildung auf der Strecke bleibt. Denn das, was die Arbeit der 38 Honorarkräfte auffangen soll, sind lediglich drei vollzeitäquivalente Stellen. Das geht nicht auf“, sagt Henrike Terheyden, Vorständin bei WIR GESTALTEN DRESDEN. In Zeiten, in denen die Demokratie nicht mehr nur bröckelt, ist kulturelle Bildung eine tragende Säule, die Austausch und gegenseitiges Verständnis fördert und die unverzichtbar sein sollte.
Flexibilität als Grundvoraussetzung für Kulturschaffende
In der Alltagsgestaltung von vielen Kulturschaffenden ist Flexibilität nicht nur ein hohes Gut, sondern eine Arbeitsbedingung, um professionell künstlerisch tätig sein zu können. Die Möglichkeit, das Bouquet an Einkommensquellen individuell zu stricken, wird jedoch durch die Eindimensionalität der Umsetzung des Herrenberg-Urteils unmöglich gemacht.
Vereinbarkeit von künstlerischer und pädagogischer Arbeit erschwert
Denn selbst wenn Künstler:innen sich auf die viel zu wenigen ausgeschriebenen Stellen bewerben, die die Arbeit der Honorarkräfte ersetzen sollen, müssen sie darauf achten, möglichst geringe Stundenkontingente zu leisten, um nicht ein weiteres Sicherheitsnetz zu verlieren: Die Künstlersozialkasse. Denn diese fordert, dass der Haupterwerb aus der künstlerischen Arbeit generiert wird. Die Tätigkeit im künstlerisch pädagogischen Bereich zählt nur in Ausnahmen dazu.
Die neu geschaffenen Stellen sind aber häufig so gestrickt, dass sie mehr als zwei Stunden in der Woche umfassen. Das bedeutet, Künstler:innen sind gezwungen, ihren Hauptberuf als Kunstschaffende zurückzuschrauben, um das Tätigkeitsfeld im pädagogischen Bereich nicht zu verlieren. Gleichzeitig beschneiden beispielsweise 10 Stunden Anstellung anstelle der zwei oder vier Stunden auf Honorarbasis empfindlich die Zeit und damit Verdienstmöglichkeit, in der Menschen sonst professionell künstlerisch tätig wären.
WIR GESTALTEN DRESDEN warnt vor erhöhter Belastung für Kulturschaffende mit Fürsorgepflichten
In der Konsequenz bedeutet das: Bewerben sich Kunstschaffende, die im Vorfeld marginal pädagogisch gearbeitet haben auf die Stellen, müssen sie auch im Hauptberuf mehr verdienen, was zu einer immensen zeitlichen Belastung führen würde. Das ist vor Allem unmöglich, wenn sie zusätzlich Fürsorge-Arbeit leisten. Verzichten sie zu Gunsten der pädagogischen Arbeit auf künstlerisch generiertes Einkommen, reicht der Stellenumfang nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Dass Kulturschaffende immer wieder durch die Raster durchschnittlicher Lebensläufe fallen, hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt.
Hier wird die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Einbindung von Interessenvertretungen Kulturschaffender deutlich. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Stimme der Kreativwirtschaft gehört wird, die mit ihrer Arbeit richtungsweisend für ein stabiles „Wir“ stehen kann.
Der Weg nach vorn: Ein Drei-Säulen-Modell für die kulturelle Beschäftigung
WIR GESTALTEN DRESDEN plädiert für eine Auffächerung der Absicherungsstruktur in direkter Bezugnahme auf das tatsächliche Einkommen aus der kulturellen Bildungsarbeit der lehrenden Künstler:innen. Soloselbstständige Künstler:innen, die nur geringfügig als Lehrkraft tätig sind, müssen weiterhin als Honorarkraft mit angemessenem Stundensatz in der kulturellen Bildung tätig sein können.
Es bleibt abzuwarten, was die Task Force des Berliner Senats mit Vertreter:innen aus Bildung, Kultur, Justiz und Finanzen für die Verhandlung mit der Rentenversicherung entwickelt. Das angedachte 3-Säulen-Modell, das die Möglichkeiten aus Festanstellung, festen freien Mitarbeitenden und Honorarkräften vorschlägt, könnte die Lücke, die sich mal wieder in den innovativen Lebensentwürfen Kulturschaffender am klaffendsten zeigt, eventuell schließen.