WGD-Radtour 2021

Zu Besuch an Dresdner kreativen Wirkungsstätten

Am 5. Oktober 2021 luden wir erneut zur Kreativwirtschafts-Fahrradtour ein. Wie schon im Vorjahr, haben wir wieder gemeinsam einen Nachmittag lang die Kultur- und Kreativwirtschaft in Dresden erkundet und sind mit zahlreichen Akteur:innen ins Gespräch gekommen.

Station 1) Kulturschaufenster Nr. 2
Hauptstr. 44, 01097 Dresden
= Katharina Groß („Neue Raeume;“ – Medienkollektiv)
= inkl. Performance von Nathalie Wagner und Batsuuri Odbayar

Station 2) Stadtspiel Schnitzeljagd
Rähnitzgasse 24, 01097 Dresden
= Anja Gena (Stadtspiel Schnitzeljagd)

Station 3) Kino über Land e. V.
Bischofsplatz 1, 01099 Dresden
= Dani Barsch (Kino über Land e. V.)

Station 4) GEH8 
Gehestr. 8, 01127 Dresden
= Michael Merkel (GEH8 KUNST RAUM ATELIERS gUG (mbH))

Station 5) ist architektur
Kleiststr. 10a, 01129 Dresden
= Maximilian Meixner (ist Architektur)
= Alexander Paul Finke (dreizehngrad)

Station 6) Kulturschaufenster in der Centrum Galerie
Trompeterstr. 5, 01069 Dresden
Falaffel-Buffett und Führung durch die Kulturschaufenster-Ausstellung

 

Podiumsgespräch

Nicht erst seit Corona ist zu beobachten: Der Einzelhandel weicht aus den Innenstädten und hinterlässt leerstehende Ladenflächen. Passend hierzu lud WGD ins Kulturschaufenster ein, das für die Dauer von zwei Monaten im Herbst 2021 einen leeren Laden zum Showroom Dresdner Kunst- und Kreativprodukte verwandelte.

Zum Thema „Trendwende Innenstadt: Was können wir zu einer zeitgemäßen und nachhaltigen Belebung der Dresdner Innenstadt beitragen?“ diskutierten:

= Stefan Szuggat (Amtsleiter Stadtplanungsamt)
= David Tobias (Handelsverband Sachsen e. V.)
= Clemens Kießling (Jakobpassage Görlitz)
= Martin Fiedler (Wir gestalten Dresden)

Moderation: Carolin Gerlach (WGD)

 

Was verstehen wir unter „Innenstadt“?

Zu Beginn des Podiumsgesprächs sind wir uns einig: Das Geschehen in der Innenstadt hat sich verlagert.

Doch was verstehen wir eigentlich unter dem Begriff „Innenstadt“?
Ist das nur die Prager-Einkaufsstraße, oder sind das auch die Elbwiesen?
Wo halten sich die Menschen, ob nun Bürger:innen oder Tourist:innen, in Dresden auf, wenn sie nicht zu Hause oder im Büro sind? „Die Straßen sind leer und die Grünflächen voll“ – War dieser Eindruck schon vor der Pandemie gültig?

Definiert man Innenstadt als „da, wo sich die Leute aufhalten“, verschiebt sich der Fokus vom Shopping im Center hin zur Erholungs- und Interaktionsfläche ohne Konsumzwang. Diese öffentlichen Flächen werden immer rarer. Wo kann Raum für Begegnung in der Innenstadt geschaffen werden – und: Wer gestaltet Dresden?

 

Vier Perspektiven auf Innenstadtgestaltung

Martin Fiedler plädiert für die Umnutzung leerstehender Ladenlokale und Erdgeschossflächen. Auch in nahezu komplett betonierten Straßenzügen wie der Pragerstraße erkennt er viel Platz für Kultur, Sport, Gemeinschaftsgärten und soziale Projekte. Als Vorstandsmitglied des Branchenverbandes der Kultur- und Kreativwirtschaft sieht er großes Potential in den Angeboten und Ideen der hiesigen Kunst- und Kreativschaffenden. Fiedler schlägt einen „akteursbasierten Ansatz“ vor. Wie können Anwohnerschaft, lokale Vereine und Institutionen und auch Unternehmen sich für eine gemeinschaftliche Nutzung der Innenstadt einsetzen? Schon jetzt gibt es der Centrum Galerie kollaborative Mietarbeitsplätze und eine Kita auf dem Dach. Welche Konzepte werden denkbar, wenn leerstehende Ladenlokale und weniger frequentierte Einkaufsstraßen durch akteursbasierte Angebote ergänzt werden?

Clemens Kießling ist ein solcher Akteur, der sich mit mehreren Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft in Görlitz zusammen geschlossen hat. In der „Jakobpassage“ versammeln sich Vertreter:innen einer jungen und regionalen Wirtschaft und bieten Ausstellungsflächen, Werkstätten, Büros, Gastronomie und Verkaufsflächen regionaler Produkte an. Dieser „Prototyp“ zeigt: Ein parzelliertes Vorgehen schürt die Aktivierungsenergie der Nachbarschaft und bündelt Synergien aus Kommune, Stadtmarketing, Hausverwaltung und -eigentümer:innen sowie Kreativdienstleistenden. Ob nun als Geschäftsmodell wie im Falle der Jakobpassage GbR oder als durch eine Institution (Theater, Museum, Musikschule, Volkshochschule o.ä.) oder gemeinnützige Vereine getragenes Projekt – Innenstadtbelebung durch Partizipation lokaler Anwohner:innen und Akteur:innen ist identitätsstiftend, demokratie- und gemeinschaftsfördernd und sogar rentabel. Binnen zwei Jahren konnte die Jakobpassage GbR 13 Unternehmen in der Jakobstraße ansiedeln und den Wert der zuvor leerstehenden Immobilien um ein Vielfaches steigern.

Stefan Szuggat spricht sich als Amtsleiter des Stadtplanungsamtes der Landeshauptstadt Dresden vornehmlich für flächendeckende Lösungen aus. Bei der Gestaltung einer Stadt gilt es zahlreiche Vorgaben zu beachten: Baurechtliche Bestimmungen ebenso wie Verordnungen der Landeshauptstadt wie beispielsweise die Stellplatzverpflichtung für Fahrräder, die Sondernutzung von Grün- und Erholungsanlagen sowie die Richtlinie zur sozialen Mietwohnraumförderung. Insbesondere die Erdgeschossbelebung sei ein akuter Gestaltungsauftrag. Bisher wurden üblicherweise im Erdgeschoss hohe Mieten erzielt, um die Etagen darüber mitzufinanzieren. Mit zunehmendem ebenerdigen Leerstand stehen Hauseigentümer:innen jetzt vor neuen Herausforderungen.

David Tobias vom Handelsverband Sachsen betont die Verantwortung des Einzelhandels bei der Gestaltung einer lebendigen Innenstadt. Wenngleich stationäre Fachgeschäfte schon vor der Pandemie einen Rückgang an Kund:innen verzeichnen mussten, so habe sich doch deren Kaufkraft nicht verringert. Transaktionen finden mehr und mehr im online-Handel statt. „Der Markt wird das schon regeln?“ Wenn man davon ausgeht, dass – Tourist:innen wie Bürger:innen – nach wie vor ihr Geld ausgeben, wie kann man sie für diesen Vorgang wieder in die Innenstadt holen? Wäre eine Überdachung von beliebten Einkaufsstraßen ein adäquates Lockmittel?

 

Ladensterben ist nicht gleichzusetzen mit Innenstadtsterben

Wer wird sich in Zukunft in unserer Innenstadt aufhalten? Was werden diese Menschen dort kaufen? Und vor allem: Was gibt es zu tun, ohne dafür Geld in die Hand nehmen zu müssen? Soweit in den Sternen stehen die Antworten gar nicht.

Ein Wertewandel findet längst statt. Das klassische Streben nach persönlichem Eigentum wird zunehmend durch die Suche nach individuellen, personalisierten Erlebnissen ersetzt. Junge und urbane Zielgruppen rücken ökologisches Bewusstsein in den Mittelpunkt. Das Produkt rückt aus dem Zentrum des Interesses. ‚Nachhaltige Nutzung statt persönliche Anschaffung‘ lautet hier die Devise. Angebote aus dem Bereich der Sharing-Economy kennen wir schon jetzt von Autos, Fahrrädern, E-Rollern oder Co-Working Plätzen. Was werden wir uns als nächstes in der Stadt mieten können, um es nicht teuer selbst anschaffen und raumgreifend unterbringen zu müssen? Ein Podcast-Studio oder Filmschnittplatz zum Einmieten? Offene Werkstätten oder voll ausgestattete Labore und Produktionsküchen, in denen Prototypen neuer Produkte erprobt werden können?

 

Innenstadtbelebung – Kund:innen erziehen vs. Akteur:innen involvieren?

Eine weitere Form der Innenstadtbelebung kann Bürger:innenbeteiligung sein. Wer einen ansprechenden Platz schaffen will, an den Menschen gerne wiederkommen, der muss ihnen auch Möglichkeiten anbieten, sich involvieren zu können. Statt versiegelter Vorplätze z. B. bei Wohnungsneubau könnte das Areal unterteilt und dessen Betrieb jeweils einem Zusammenschluss von Anwohner:innen und lokalen Sport-, Kultur- oder Garten-Vereinen überlassen werden. So werden aus anonymen Plätzen öffentliche Interaktionsflächen, die persönliche Begegnungen ermöglichen und verstetigen können.

Schon jetzt sind die Innenstädte mit Logistik verstopft: Lebensmittel-Lieferdienste füllen leere Ladenflächen mit Pop Up-Depots, internationale Versandhandel bauen riesige Lager und Verschickungszentren, Paketzusteller:innen parken wie selbstverständlich in zweiter Reihe… Wie können leerstehende Ladenflächen ebenso wie öffentliche Plätze agiler gestaltet und wieder mit Leben gefüllt werden?

Das Stadtplanungsamt setzt bereits Konzepte um, die Autoverkehr aus der Innenstadt verlagern und diese Flächen begrünen werden. Doppelte Baumreihen und größere Ausschankflächen für Gastronomie sind schon jetzt in der Umsetzung.

 

Die fetten Jahre sind vorbei

Der stationäre Einzelhandel verlagert sich ins Internet, Verkaufsflächen stehen leer. Laden raus – Kreative rein! Noch ruht hier Mischpotential: Manufakturen und Handwerksbetriebe könnten ihre Fertigung in die Innenstadt verlagern – und zugleich einen Showroom anbinden, der den Herstellungsprozess sowie das finale Produkt vermittelt. Galerien, Künstler:innen-Ateliers, Repair-Cafés, Proben- und Veranstaltungsräume für die Freie Szene, eine kleine Brauerei, Siebdruckwerkstatt oder Tischlerei zum Einmieten, eSport-Studios, Fablabs mit 3D-Scannern und -Druckern – um nur einige zu nennen. Die Angebotsstruktur der Kauf- sowie Interaktionsmöglichkeiten wird sich verbreitern. Und wir packen mit an!

 

Schriftliche Dokumentation: Carolin Gerlach

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  • WGD-Radtour +++ Aufgenommen am 05.10.2021 von Robert Michalk Photography

  • Auszug aus Josef Pandas künstlerischer Dokumentation des Podiumsgespräches.